Matthias Roller über „ballen”:
(...) Ein Mensch liegt in einem Feld von Gummibändern. Ein Mensch verleibt sich diese Bänder unter seiner Kleidung ein. Ein Mensch gebiert nach einigem Nesteln und Gefummel unter seiner Neutralkleidung einen Gummiball. Der Mensch ist der Künstler, Malte Lück.
Diffuses Nichts – wieder ist der Lichtstreif zu sehen, ist und war ein Stück Papier und wird im Moment von einem abrupten Vorgang in zwei Teile zerrissen. Irgendetwas ist jetzt passiert.
ballen 1: Seht her, hier sind ganz viele harmlose Gummibänder. Normalerweise wird damit ein Plan oder ein Plakat zu einer Rolle verbunden. Aber jetzt nicht. Jetzt liegen sie auf dem Boden, und auf dem Boden sehen sie hübsch aus, wie Blumen auf einer Wiese. Der träumende Mensch pflückt diese Blumen, nimmt sie auf und ballt die Gummibänder zu einem runden Objekt. Ein Ball, etwas zum Spielen, ein Designobjekt, ein origineller Briefbeschwerer, oder vielleicht doch ein Wurfgeschoss, wie das... „Gummidepot orange. Die Suche hat ein Ende. Ihre Gummibänder befinden sich nun stets in Ihrem Blickfeld. Auch als Anti-Stressball sehr empfehlenswert… Größe: Durchmesser 7 cm. Farbe: orange-weiß. Gewicht: 165 g. Von Cedon.“
Das Impressum der Website des Betreibers von Museumsshops erklärt: „Unsere Philosophie (...): Als Betreiber von Museumsshops hat sich C. im Laufe der letzten 13 Jahre als Vorreiter in diesem besonderen Marktsegment einen Namen gemacht: mit viel Kreativität und Qualitätsbewusstsein schlägt C. die Brücke zwischen Kunst und Kommerzialität (...)“ Das hat uns gerade noch gefehlt.
Künstler Lück „ballt“ zurück. Ein triviales Endprodukt einer einfältig operierenden Ausschlachtungsindustrie wird von Malte Lück durch das Erzählen einer poetischen Geschichte wieder in die Aura des künstlerischen Kosmos zurück entführt.
ballen 2 : Wir sehen nichts. Es passiert nichts. Vielleicht wollen wir es auch nicht sehen. Die herrschenden Ordnungen in Systemen sind größtenteils stabil, wollte man es gesellschaftlich betrachten häufig sehr ungerecht.
Eine Performance: Drei Männer stehen auf einem Podest, einem gestaffelten Siegerpodest. Mexiko Stadt, Olympische Spiele 1968, 16.10., Siegerehrung 200-m-Finale der Männer.
Zwei der Leichtathleten sind schwarze US-Amerikaner. Sie stehen da in ihren Trainingsanzügen, ein vertrautes Bild, doch es gibt da kleine Abweichungen. Sie tragen keine Schuhe, stehen da in Strümpfen, tragen Perlenketten, jeder hat einen Button des Olympic Project for Human Rights (OPHR) angeheftet, einer trägt seine Trainingsjacke offen. Tommie Smith und John Carlos haben es geschafft, die Gold- und die Bronzemedaille im 200-m-Sprint der Herren war allerdings „nur“ ein Vorwand. Jetzt, da die Nationalhymne ertönt und die ganze Welt zusieht, strecken sie jeder mit gesenktem Kopf einen Arm in die Höhe. Tommie den rechten, John den linken3 und ballen die in schwarzen Lederhandschuh gestülpte Hand zu protestierenden Faust.
Auch der dritte Sportler, der Australier Peter Norman, trägt den Button der beiden US-Athleten. Aus Solidarität.
Wir sehen nichts. Doch jetzt ist etwas passiert, etwas hat sich verändert, wurde verändert. ... ballen, ein Anstoß zu einer Veränderung.
Der Künstler Malte Lück: Japan 1933 - In dem Essay Lob der Meisterschaft beschreibt der japanische Schriftsteller Tanizaki Jun’ichiro die geinin, die Schauspieler bzw. Meister des traditionellen japanischen Kabukitheaters. Die geinin bestechen nicht durch Perfektion oder Virtuosität, sondern durch die antrainierte gewissenhafte Eindrücklichkeit ihres Spiels.
„Sie äußern sich nicht über Kunstauffassungen, sondern verlassen sich auf Ihre Fähigkeiten – besonnen, vorsichtig, je nach Umständen sogar unterwürfig (...). Die geinin (...) bewahren gerade in ihrer Tollpatschigkeit viel Wärme und Liebenswürdigkeit. Sowohl zu den Menschen (als auch) ... zu ihrer Meisterschaft entwickelt man sehr leicht ein inniges Verhältnis.“