Wann können wir Verantwortung übernehmen? Wann für uns, wann für andere? Und wie bestimmt die Gesellschaft uns und unser Handeln?


Zu der Aktion und Performance „der verantwortete Raum“ entstehen erste Analysen.


Die Analysen können hier eingesehen werden:







Ein Interview mit Marcus Gross-Larsen (MG) entsteht zur Aktion und Performance:


MG: Du hast jetzt gerade die Vorstellung und Aktion „der verantwortete Raum” gemacht, was ist der verantwortete Raum für dich?


ML: Ich habe schon Anfang diesen Jahres Zeichnungen dazu gemacht mit dem Titel „Grund und Tat”, und in den Zeichnungen beschäftige ich mich damit, wie aus Liebe ein Kind wird, wie dieses Kind wächst und wie es die Verankerung bekommt in dem, was es tut. Das steckte damals schon in den Zeichnungen drin - und dazu kommt noch die Überlegung, wie ein Mensch Verantwortung übernehmen kann und auch verantwortlich ist für das, was er denkt und tut ... Dieses hat zu der Frage geführt: Wann haben wir in unser Gesellschaft wirklich die Verantwortung? ...


MG: Die Aktion fängt mit dem Schlüpfen aus dem Filzkokon an.


ML: Man kann das schon sehr stark vergleichen mit der Geburt - so wie ich in der Aktion den Kokon verlasse, sehe ich das erste Mal das Tageslicht, komme dann in einen Raum, der mir durch seine Abgeschlossenheit Geborgenheit gibt, aber mich noch nicht wärmt, und deswegen lege ich mich in einer embryonalen Haltung auf den Kokon, und so kann ich mir eine Erwachsenengeburt vorstellen ...

Es geht doch nur darum, geliebt zu werden - Zeit seines Lebens - und dazu gehört die Geborgenheit und die Wärme ...


MG: Es gibt an dem Filz einen Saugaufsatz ...


ML: Noch einmal die Parallele zur Geburt: Ich komme aus dem Kokon zur Welt, muß dann auch natürlich sehen, wo ich meine Nahrung herbekomme, nehme den Saugaufsatz und versuche, aus meiner Umgebung, das, was mich ernähren soll, das was mich nährt, aufzusaugen ...


MG: In deiner Aktion gibt es ein Joch, an dem übergroße Filzhandschuhe befestigt sind, dann arbeitest du mit einer Leiter, deren abgebrochener Fuß durch eine Prothese, einer Schreibtischlampe, ersetzt ist, die sogar leuchtet ...


ML: Ich nehme an, wenn das Kind so weit ist, dass es selbständig spüren kann, wohin es gehen will, wird es trotzdem immer wieder probieren, Liebe zu erfahren. Das Joch, diese Filzhandschuhe (das ist natürlich eine Parallele mit dem Filz vom Kokon), das ist eine Art Wärmeerhaschen (Wärme in bestimmter Abhängigkeit) - denn beim Anziehen der Filzhandschuhe spüre ich ja auch Wärme und lege mir damit aber auch gleichzeitig das Joch auf - weil ich mir diese Liebe erschleichen will ... Aber in dem Moment, wo ich spüre, ich ziehe mir das Joch an, merke ich, das es zu schwer ist oder es mir nicht steht, ich mich einenge damit - und so lege ich es also ab, stelle es senkrecht an die Wand, und die Filzhandschuhe sehen so aus, als wenn sie das Joch liebkosen. Das ist für mich das Kunstwerk Güte, denn die Handschuhe umarmen letztendlich das Joch (bilden eine liebevolle Beziehung zu der bestimmten Abhängigkeit, in die wir uns geben bzw. geben müssen), und die Leiter ist stellvertretend für die Würde, denn wenn man zu seinen Fehlern steht, kann man einen aufrechten Gang wagen. Und nur dann kann man sehen, wohin es gehen kann. Man hat auch als Mensch so ein inneres Licht, von dem man gar nicht so genau weiß, woher es kommt, es ist einfach schon da und in dem Moment bekommt man dieses Licht wirklich zum Leuchten und es kommt zum Vorschein - und verbunden mit der Aktion, erst das Saugen macht mich groß, ich richte mich dabei auf, dann, weil ich Wärme will, ich kann ja nicht weiter wachsen, ich bin ja schon groß, bekomme ich die Filzhandschuhe zu fassen, sehne mich danach, wieder diese Wärme zu spüren, ziehe mir die Handschuhe mit dem Joch an, merke: “Hilfe, ich bin eingeengt” - meine Hände sind ja dann in dieser ausgebreiteten Haltung und können da auch nicht mehr zurück - und dann streiche ich mir ja auch noch mit den Handschuhen über das Gesicht - ich möchte ja wirklich diese Wärme diese Liebe erfahren, und kann sie aber natürlich nicht durch das Joch mit den Handschuhen erfahren - und entdecke darüber dann die Leiter und merke: “Schau mal, es geht vielleicht auch anders. Da ist ein Licht dran, das Licht scheint” ... Und das sind diese Gegenstände, die den Selbstfindungsprozess durch Güte und Würde im Menschen ausmachen können ...

Licht ist ja beides - Licht ist Wärme und zusätzlich zu der Wärme, die ja auch vorrausstrahlt, ist das auch ein Wille: Wo will ich hin? ...


MG: Nachträglich nimmst Du eine Taschenlampe und leuchtest ins Dunkel. Danach verläßt du den Aktionsort und trittst dann erst in den verantworteten Raum ein.


ML: Ich habe jetzt durch die Taschenlampe ein tragbares Licht, kann damit die Richtung vorgeben, in der ich mich bewegen möchte, in der ich meine Wärme und mein Licht weiterleiten möchte, und in dem Moment, wo ich weiß, wo ich hin will, ich mich unabhängig mache, von allem mir Auferlegtem, von dem was mich groß gemacht hat, das Saugen, was mir Liebe mitgegeben hat ohne mich damit einzusperren, was mir den aufrechten Gang ermöglicht hat, und auch meine Würde, erst in dem Moment ist es mir möglich zu sagen: “Das bin ich, so bring ich mich ein in die Gesellschaft.” Also ist das, was im Vorfeld passiert - also die gesamte Aktion, die Vorbereitung zu diesem verantworteten Raum.


MG: Wie findet man denn sein ICH?


ML: Wenn wir die Frage anders herum stellen, kann man das sehr schnell beantworten. Wir spüren sehr schnell, was wir nicht sind. Und in dem Moment müssen wir einfach den Mut haben, öfter auszuprobieren, was wir nicht sind. Der Rest bin ich vielleicht. Und natürlich den Mut finden, es einfach zu wagen - egal was andere sagen. Denn in dem Moment kann man sagen: “Das bin ich!” ...

2003

08 - der verantwortete Raum